In den ersten Zeiten seiner neuen Wanderschaft, im ersten gierigen Taumel der wiedergewonnenen Freiheit, mußte Goldmund erst wieder lernen, das heimatlose und zeitlose Leben der Fahrenden zu leben. Keinem Menschen gehorsam, abhängig nur von Wetter und Jahreszeit, kein Ziel vor sich, kein Dach über sich, nichts besitzend und allen Zufällen offen, führen die Heimatlosen ihr kindliches und tapferes, ihr ärmliches und starkes Leben. Sie sind die Söhne Adams, der aus dem Paradies Vertriebenen, und sind die Brüder der Tiere, der unschuldigen. Aus der Hand des Himmels nehmen sie Stunde um Stunde, was ihnen gegeben wird: Sonne, Regen, Nebel, Schnee, Wärme und Kälte, Wohlsein und Not, es gibt für sie keine Zeit, keine Geschichte, kein Streben und nicht jenen seltsamen Götzen der Entwicklung und des Fortschritts, an den die Hausbesitzer so verzweifelt glauben. Ein Vagabund kann zart oder roh sein, kunstfertig oder tölpisch, tapfer oder ängstlich, immer aber ist er im Herzen ein Kind, immer lebt er am ersten Tage, vor Anfang aller Weltgeschichte, immer wird sein Leben von wenigen einfachen Trieben und Nöten geleitet. er kann klug sein oder dumm; er kann tief in sich wissend sein, wie gebrechlich und vergänglich alles Leben ist und wie arm und angstvoll alles Lebendige sein bißchen warmes Blut durch das Eis der Welträume trägt, oder er kann bloß kindisch und gierig den Befehlen seines armen Magens folgen - immer ist er der Gegenspieler und Todfeind des Besitzenden und Seßhaften, der ihn haßt, verachtet und fürchtet, denn er will nicht an all das erinnert werden: nicht an Flüchtigkeit alles Seins, an das beständige Hinwelken alles Lebens, an den unerbittlichen eisigen Tod, der rund um das Weltall erfüllt.
Hermann Hesse, Narziss und Goldmund
Bei meinem Leben und meiner Liebe zum Leben schwöre ich, dass ich niemals um eines anderen Menschen willen leben werde, noch von einem anderen verlangen werde, um meinetwillen zu leben.
Atlas wirft die Welt ab, Ayn Rand
Allem wohnt ein Muster inne, das Teil unseres Universums ist. Es besitzt Symmetrie, Eleganz und Anmut - Qualitäten, die man auch in dem findet, was der wahre Künstler einfängt. Dieses Muster lässt sich im Wechsel der Jahreszeiten entdecken, darin, wie der Sand über einen Dünenkamm webt, in den Zweigen des Kresotbusches oder in der Anordnung seiner Blätter. Wir streben danach, dieses Muster in unserem persönlichen und gesellschaftlichen Leben nachzuahmen, wir suchen die Rhythmen, die Tänze, die Formen, die uns Trost spenden. Und trotzdem lässt sich auch eine Gefahr im Erlangen absoluter Perfektion ausmachen. Es ist klar, dass das ultimative Muster seine Festgelegtheit beinhaltet. In solcher Perfektion strebt alles dem Tode zu.
Der Wüstenplanet, Frank Herbert
An Tagen wie diesen muss ich immer daran denken, wie es war - ich meine, wie ich es mir vorstelle, dass es war - als ich noch jung war, sehr jung. Als alles Fühlen und Schmecken - alles - so neu noch war und selbst das Leid etwas Schönes bedeutete, weil es so ganz und gar vollständig, in sich geschlossen war. Alles zum ersten mal - in jenen Tagen, wo Taten noch keine Konsequenzen hatten und nichts unwiederbringlich war, wo Liebe einfach war und selbst der Schmerz von ewiger Dauer schien: war es doch unvorstellbar, dass die Zeit auch nur das geringste tun könnte, ihn zu lindern.
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Marcel Proust
Eure Kinder sind nicht eure Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie ähnlich zu machen, denn das Leben läuft nicht rückwärts noch verweilt es im Gestern.
Der Prophet, Khalil Gibran
Heute bin ich stolz darauf zu sagen, dass ich unmenschlich bin, dass ich nicht zu Menschen und Regierungen gehöre, dass ich nichts mit Glaubensbekenntnissen und Grundsätzen zu tun habe. Ich habe nichts mit der knarrenden Maschinerie der Humanität zu tun - ich gehöre der Erde! Ich sage das auf meinem Kopfkissen liegend und kann die Hörner aus meinen Schläfen sprossen fühlen. Ich kann um mich alle meine verrückten Ahnen ums Bett tanzen sehen, wie sie mich trösten, mich anfeuern, mich mit ihren Schlangenzungen anpeitschen, mit ihren lauernden Schädeln angrinsen und anblecken. Ich bin unmenschlich! Ich sage es mit einem verrückten, verzückten Grinsen und ich will nicht aufhören, es zu sagen, auch wenn es Krokodile regnet. Hinter meinen Worten sind alle diese grinsenden, bleckenden, lauernden Schädel, einige davon tot und schon seit langem grinsend; manche grinsen, als hätten sie den Kinnbackenkrampf, andere grinsen mit der Grimasse eines Grinsens, der Vorahnung und Nachernte dessen, was immer vor sich geht. Deutlicher als alles, sehe ich meinen eigenen grinsenden Schädel, sehe das Skelett im Winde tanzen, Schlangen über die verfaulte Zunge kriechen und die strotzenden Seiten der Ekstase mit Kot besudelt. Und ich vereine meinen Schleim, meinen Kot, meine Verrücktheit, meine Ekstase mit dem großen Kreislauf, der durch die unterirdischen Gewölbe des Fleisches fließt. All dieser ungebetene, ungewollte, trunkene Auswurf wird endlich durch das Denken derer fließen, die in das unerschöpfliche Gefäß kommen, das die Geschichte der Gattung enthält. Seite an Seite mit der Menschengattung geht eine andere Gattung einher, die Unmenschlichen, die Gattung der Künstler, die, von unbekannten Impulsen getrieben, die leblose Masse der Menschheit hernehmen und diesen trägen Brei mit dem Fieber und dem Ferment, mit denen sie ihn durchtränken, in Brot und das Brot in Wein und den Wein in Gesang verwandeln. Aus dem toten Kompost und der stumpfen Schlacke zeugen sie ein mitreißendes Lied. Ich sehe diese andere Gattung Einzelner die Welt durchstöbern, alles von oben nach unten kehren, ihre Füße waten ständig in Blut und Tränen, ihre Hände sind immer leer, sie tasten und greifen stets nach dem Jenseitigen, den Gott außer Reichweite. Um das Ungeheuer zu beschwichtigen, das an ihren Eingeweiden nagt, schlachten die alles hin, was in ihren Bereich kommt. Wenn sie sich die Haare ausraufen im Bemühen, zu verstehen, dieses ewig Unerreichbare zu fassen, wenn sie heulen wie gereizte Tiere und drauflosstürmen und die Hörner senken, sehe ich, dass das richtig ist, dass es keinen anderen Weg einzuschlagen gibt. Ein Mensch, der zu dieser Gattung gehört, muss sich an erhöhter Stelle mit Schaum vor dem Munde hinstellen und sich die Eingeweide aus dem Leib reißen. Es ist gut und recht, denn er muß. Und alles, was hinter diesem schrecklichen Schauspiel zurückbleibt, alles weniger Schaudererregende, weniger Erschreckende, weniger Verrückte, weniger Berauschte, weniger Mitreißende ist nicht Kunst. Alles übrige gehört dem Leben und der Leblosigkeit an.
Wendekreis des Krebses, Henry Miller
Heute erwachte ich aus tiefem Schlaf mit Freudenflüchen auf den Lippen, Kauderwelsch auf der Zunge wiederholte ich zu mir selber wie eine Litanei: Fay ce que vouldras! ... Fay ce que vouldras! Tu, was du willst, wenn es nur Freude bringt. Tu, was du willst, wenn es nur Ekstase erzeugt. All das geht mir durch den Sinn, als ich das zu mir selber sage: fröhliche, schreckliche, tollmachende Bilder, der Wolf und die Geiß, die Spinne, die Krabbe, die Syphilis mit ihren ausgebreiteten Schwingen und die immer nur eigeklinkte, immer offene Tür des Schoßes, bereit wie das Grab. Wollust, Verbrechen, Heiligkeit: das Leben der von mir Verehrten, die von ihnen hinterlassenen, die von ihnen unvollendet gelassenen Worte. Das Gute, das sie nachschleppten, und das Böse, die Trauer, der Mißklang, der Groll, der von ihnen hereufbeschworene Hader. Aber vor allem die Ekstase!
Unterwegs, Jack Kerouac
Aber alle unsere Gefühle, in denen wir die Freuden und Leiden einer wirklichen Person miterleben, kommen auch nur durch ein Bild zustande, das wir uns von diesem Glück oder Mißgeschick machen; der geniale Einfall des ersten Romanschriftstellers bestand in der Entdeckung, daß, da in unserer emotionalen Sphäre das Bild das wesentliche Element ist, die Dinge entscheidend vereinfacht und vervollkommnet würden, wenn man die wirklichen Personen kurzerhand ausschaltete. Ein wirklicher Mensch, mögen wir noch so sehr mit ihm sympathisieren, wird von uns zum großen Teil durch die Sinne aufgenommen, das heißt, große Partien an ihm bleiben undurchsichtig für uns und bilden eine Art toter Last, mit der unser Empfindungsleben nichts anzufangen weiß. Stößt ihm ein Unglück zu, können wir nur an einer kleinen Stelle der Gesamtvorstellung, die wir von ihm haben, davon berührt werden, ja mehr noch: auch nur in einem kleinen Teil der Gesamtvorstellung, die er von sich selber hat, wird er selbst es sein können. Die Erfindung des Romanschriftstellers war nun, diese für die Seele undurchdringlichen Partien durch eine gleiche Menge immaterieller Teile zu ersetzen, das heißt solcher, die unsere Seele sich anverwandeln kann. Was spielt es nun noch für eine Rolle, ob die Handlungen und Gefühle dieser Wesen einer ganz neuen Art und als wahr erscheinen, da wir sie ja zu den unsern gemacht haben, da sie sich in uns selbst abspielen und, während wir fieberhaft die Seiten des Buches umblättern, die Schnelligkeit unserer Atemzüge und die Lebhaftigkeit unseres Blicks sich ganz nach ihnen regeln muß. Wenn uns aber der Verfasser erst einmal in diesen Zustand versetzt hat, in dem bei allen rein innerlichen Vorgängen jedes Gefühl verzehnfacht ist, und bei dem sein Buch uns nach Art eines Traumes bewegt, eines Traumes jedoch, der klarer ist als unsere Träume im Schlaf und auch in unserm Gedächtnis besser haften bleibt, so läßt er eine Stunde lang alles Glück und Leiden auf uns los, das es überhaupt gibt, und wovon wir im Leben selbst in Jahren nur einige Formen kennenlernen könnten; die stärksten aber würden sich uns niemals offenbaren, denn die Langsamkeit, mit der sie sich herausbilden, läßt uns den Blick dafür verlieren. So wandelt sich unser Herz im Leben, und das ist das schlimmste der Leiden; doch wir erleben es nur beim Lesen und in der Phantasie: in der Wirklichkeit vollzieht sich diese Wandlung wie bei gewissen Naturerscheinigungen so langsam, daß wir zwar nacheinander jede der verschiedenen Phasen feststellen können, aber das Bewußtsein des Wandels selbst bleibt uns dennoch erspart. In meinem Körper schon weniger verhaftet als das Leben der Personen folgte dann, halb vor meine Augen hinprojiziert, die Landschaft, in der die Handlung sich abspielte; in meinem Denken nahm sie einen viel größeren Raum ein als die andere, nämlich die, die wirklich vor meinen Blicken lag, sobald ich sie von dem Buche hob. So habe ich zwei Sommer hintereinander in der Hitze des Gartens con Combray wegen des Buches, in dem ich las, Sehnsucht nach einem gebirgigen, flußreichen Lande mit vielen Sägewerken gehabt, wo auf dem Grunde des klaren Wassers Holzstücke unter Büscheln von Kresse vermoderten; nicht weit davon hingen an niederen Mauern Trauben von violetten und rötlichen Blüten herab. Und da der Traum von einer Frau, die mich lieben würde, in meinen Gedanken immer eine Rolle spielte, so war in jenen Sommern dieser Traum von der Kühle fließenden Wassers durchtränkt; und an was für eine Frau auch immer ich dachte, auf alle Fälle war sie von Trauben violetter und rötlicher Blüten wie von Farben umrahmt, durch die sich ihre eigenen hoben.
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Marcel Proust
